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mission 21

Waisen in Tansania eine Zukunft geben

Die Historikerin und Primarlehrerin Sandra Witschi aus Bern hat als ökumenische Mitarbeiterin von mission 21 das Waisenprogramm der Herrnhuter Kirche im Südwesten Tansanias mit aufgebaut. Ihr Mann Christian Kouoh unterrichtete dort französische Sprache an einer Universität. Im August 2012 kehrten sie in die Schweiz zurück. Im Gespräch blickt Sandra Witschi auf die Höhen und Tiefen ihres Einsatzes zurück.

«Es ist eigentlich unmöglich, fünf Jahre in Worte zu fassen. Insgesamt ist meine Bilanz aber positiv. Als ich 2008 in Mbeya ankam – als Verkehrsknotenpunkt an der Grenze zu Sambia und Malawi die Region mit der höchsten Aidsrate im Land – war meine Auf- gabe zunächst unklar. Die Moravian Church (Herrnhuter Kirche, Anm. d. Red.) hatte zwar ein Zentrum aufgebaut, das als Anlaufstelle für etwa 200 Waisen diente. Aber ich fand die Kinder dort ohne Beschäftigung und Betreuung vor. Gemeinsam mit einer tansanischen Co-Leiterin begann ich damit, das Projekt auszubauen, indem wir die Betreuung der Waisen auf vier Grundpfeiler stellten: Gesundheit, Bildung, psychosoziale Betreuung und den Aufbau von Jugendzentren.

Wir haben alle Kinder auf HIV und Aids getestet. Alle wurden bei einer Krankenkasse angemeldet, damit sie Zugang zu Gesundheitsversorgung haben. Auch die Bildungsarbeit war uns sehr wichtig: Wir haben so viele Kinder wie möglich eingeschult, damit sie später eine Chance auf ein selbstständiges Leben haben. In den Jugendzentren nehmen die Waisen nach dem Schulunterricht an sinnvollen Freizeitaktivitäten teil. Es gibt Sport und Spiele, Nachhilfestunden und Allgemeinbildungskurse, auch zur Aidsprävention. Die Kinder und Jugendlichen erhalten eine Mahlzeit, die sie gemeinsam zubereiten. Die psychosoziale Betreuung haben wir unter anderem durch monatliche Hausbesuche bei den Familien der Kinder ausgebaut. Insgesamt haben wir viel erreicht. In den fünf Jahren als ökumenische Mitarbeiterin von mission 21 habe ich etwa 300 Kinder kennen gelernt. Viele sind mir sehr ans Herz gewachsen.

Wir haben das Projekt nun vollständig in tansanische Hände übergeben; meine Nachfolgerin ist eine einheimische Fachkraft. Im vergangenen Jahr haben wir damit begonnen, die Waisenbetreuung stärker auf die umliegenden Kirchgemeinden abzustützen und so auch zu dezentralisieren. Jede Gemeinde übernimmt in der Pilotphase die Verantwortung für ein Waisenkind und sorgt dafür, dass es die Sekundarschule besucht und abschliesst.

Höhepunkte waren für mich persönlich zum einen die vielen intensiven Begegnungen mit den Menschen vor Ort. Und dann natürlich unsere beiden Kinder Sophie und Frédéric: Sie kamen beide während unseres Einsatzes in Tansania zur Welt, allerdings jeweils während Heimatbesuchen in Europa. Unser Bub wurde in Tansania dann gleich in «Fedeliki» umgetauft – denn wer kann schon einen so komplizierten Namen wie Frédéric korrekt aussprechen?

Es gab aber auch viele traurige Lebensgeschichten, mit denen wir immer wieder sehr nah in Berührung kamen. Es war nicht immer einfach, sich soweit abzugrenzen, dass ich meine Arbeit fortsetzen konnte. Auch der Alltag war oft sehr anstrengend. Eine Bilanz von fünf Jahren könnte etwa so lauten:
360 Tage Stromausfall, 20 Tage Wasserausfall, 100 Tage überschwemmte Strassen, zehn platte Reifen, 30 gestohlene oder von Hunden gefressene Hühner, 520 Stunden Warten auf verspätete Personen, fünf Besuche von Schlangen in Haus und Garten – die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.

Trotzdem würden wir uns sofort wieder für einen solchen Einsatz entscheiden! In der Schweiz und in Tansania haben uns ganz viele Menschen durch diese Zeit begleitet und unterstützt. Dafür bin ich sehr dankbar. (2013)

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