Oktober 2016 - Thema des Monats: Ngiyaphila - Spiritualität und Sexualität
Filmpremiere an der "International AIDS Conference 2016" in Durban: Die HIV-positive Pfarrerin Phumzile Mabizela aus Südafrika präsentiert gemeinsam mit Brot für die Welt und STEPS (Documentary films for social change) den Dokumentarfilm über ihr Wirken. Er zeigt eine energische Frau, die sich für die Betroffenen in der Community einsetzt, indem sie HIV und Sexualität thematisiert.
Dies nicht nur in ihrer eigenen Gemeinde, sondern auch in (auf-) fordernden Workshops für andere PastorInnen und international im Austausch mit betroffenen VertreterInnen religiöser Gemeinden im Zusammenschluss von INERELA+ (http://inerela.org/). Phumzile Mabizela ist aber nicht ausschliesslich eine Betroffenen-Aktivistin. Ihre Auseinandersetzung mit Themen wie Stigma und Diskriminierung bringt sie dazu, sich auch für Frauenrechte und die Inklusion der LGBTI*-Community einzusetzen.
Der Raum an der Premiere ist gut gefüllt. Nach der Präsentation des Dokumentarfilms werden die anwesende Regisseurin und die Protagonistin mit vielen Fragen eingedeckt.
Nein, der Film soll kein Propagandafilm sein und auch niemanden beleidigen. Er zeigt lediglich die persönliche Haltung von Phumzile Mabizela, dass keine religiös moralische Überlegenheit die Ausgrenzung von HIV-positiven, LGBTI*-Menschen oder anderen Benachteiligten rechtfertigt und entschieden gegen Diskriminierung innerhalb von Kirche und religiösen Gemeinschaften vorgegangen werden muss.
Sexualität und Kondome müssen in der Kirche thematisiert werden
Den Schlüssel zu mehr Offenheit sieht Phumzile Mabizela im Dialog und in der direkten Thematisierung von Sexualität und Kondomen in der Kirche. Dazu fordert sie Kirchenführende in Workshops zur Auseinandersetzung mit der Diskrepanz zwischen Ideal und Realität heraus. Tabus oder Schonung kennt sie nicht. Dafür die biblischen Schriften umso genauer.
In der Diskussion im Anschluss an die Filmpräsentation weist sie umsichtig aber dezidiert auf die Auslegungsmöglichkeiten von Bibelstellen hin und auf die Herausforderung, dass Grundsätze wie Menschenliebe oft weniger hoch gewichtet werden als einzelne Ausgrenzungspassagen. So könne die aus der Bibel abgeleitete „absolute Wahrheit“ die Verfolgung von Homosexuellen genauso legitimieren wie sie die Apartheid in Südafrika legitimiert habe. Für sie ist deshalb wichtig, den Fokus auf eine integrative offene Kirche zu legen statt durch moralische Disziplinierung zu verurteilen.
Ein Dokumentarfilm kann viel bewirken
Wie der Film zeigt, beschränkt sich das Wirkungsfeld von Phumzile Mabizela aber nicht auf die Öffentlichkeit. Sie hat eine ihrer betroffenen Schwestern an Heilwasser und Heilöle verloren. Die tägliche Auseinandersetzung ist ermüdend. Trotzdem lernen wir keine resignierte Frau, sondern eine starke, engagierte und empathische Persönlichkeit kennen. Sie sieht positive Veränderungen und weiss, dass sich ihr Einsatz lohnt. Weil aber noch viel zu tun ist, hat sie schliesslich dem Dokumentarfilm-Projekt zugestimmt.
Sie wird ihre Ansichten und Werte weiterhin teilen und sich mit Fragen aus ihrem Alltag und ihrer Gemeinde beschäftigen: warum konsumieren wir Medikamente für alle Lebenslagen – bei HIV sollen wir aber allein auf den Glauben vertrauen? Warum beten wir für eine Wunderheilung aber nicht dafür, dass wir die Kraft haben die Medikamente dauerhaft einzunehmen? Weshalb behandeln wir HIV und die Betroffenen anders als andere Krankheiten und Erkrankte?
Photo: Aids Hilfe Bern
Wie stehen wir in der Schweiz zur Kirche und HIV?
Ähnliche Fragen beschäftigen uns auch in der Schweiz: Welche Haltungen haben Kirchen zu HIV, von HIV-Betroffenen, Therapie etc.? Welche Erfahrungen machen Betroffene in Kirchgemeinden, in denen sie Halt und Wärme suchen? Was wünschen sie sich von ihren Gemeinden? Geben sie ihren HIV-Status preis oder halten ihn aus Scham oder Angst vor Ausgrenzung geheim? Erhalten sie Unterstützung oder werden sie verurteilt und weggewiesen? Wie sieht Unterstützung bzw. Ausgrenzung konkret aus? Gibt es Unterschiede zwischen Landeskirchen und anderen (Migrations-) Kirchen? Weshalb stösst man bisweilen auf Schweigen, wenn HIV und Sexualität durch AktivistInnen in Kirchgemeinden thematisiert werden möchten? Was können AktivitstInnen, Betroffene und PastorInnen für eine Annäherung tun?
Vielleicht bietet der Dokumentarfilm von Phumzile Mabizela eine Ausgangslage, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Vielleicht inspiriert uns ihre Offenheit dazu, selber offener zu werden für Betroffene, Minderheiten, spirituelle Menschen und das Potential von Spiritualität und Kirchen für Betroffene. Und vielleicht bringt uns diese Offenheit dazu, den direkten Austausch zu suchen und gemeinsame Lösungen auszuarbeiten.
Auf jeden Fall danken wir Phumzile Mabizela herzlich dafür, dass sie ihre Erfahrungen und Gedanken mit uns teilt. (Foto: Brot für die Welt)
Autorin: Barbara Zwahlen, Aids Hilfe Bern