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Frauen und sexuelle Gesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit
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Frauen und sexuelle Gesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit

Wendekreis, Luzern, 18. September 2012 - Müttergesundheit ist ein Thema nicht nur mit medizinischen, sondern auch gesellschaftlichen und politischen Dimensionen. Moderator Röbi Koller führte an einer Veranstaltung der Bethlehem Mission Immensee (BMI) am 12. September im Romerohaus Luzern zum Thema durch eine Podiumsdiskussion. Katrin Heeskens, BMI-Fachperson in Kenia, und der katholische Theologe Odilo Noti waren unter anderem Diskussionsteilnehmer.

Die Frage, ob Mütter während der Schwangerschaft, der Geburt und danach gesund bleiben können, hängt wesentlich davon ab, wo sie leben: "99 Prozent der Mütter, die vor, während oder nach einer Geburt sterben, leben in Entwicklungsländern", so Andreas Loebell vom Fokus Gesundheit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) anlässlich der Podiumsdiskussion unter dem Titel "Mythos Mutterschaft - Frauen, Gesundheit und das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung in der Entwicklungszusammenarbeit". Die Müttersterblichkeit bis 2015 um drei Viertel zu senken, gehört zu den Milleniumszielen der Vereinten Nationen. Aber gerade dieser Bereich habe in den letzten Jahren in der gesamten Entwicklungszusammenarbeit am wenigsten Fortschritte gemacht, betonte Gesprächsleiter und BMI-Botschafter Röbi Koller.

Tradition und Moderne im Konflikt
Eine, die das Leben von Müttern im Süden hautnah erlebt hatte, ist Katrin Heeskens. Sie selbst lebte während eines Einsatzes als Gesundheitskoordinatorin für die Bethlehem Mission Immensee mit ihrer Familie drei Jahre lang in Isiolo in Kenia. Fragen der selbstbestimmten Mutterschaft könnten sich die Frauen dort kaum stellen: "Wenn ich kein Renten- und Sozialsystem habe, dann muss ich zwölf Kinder kriegen, dass acht überleben und ich im Alter versorgt werde", rechnete Heeskens vor. Mutterschaft sei in traditionellen Kulturen deswegen weniger eine Frage der Entscheidung oder des Rechts.

Tradition ist es auch, die in Isiolo das Verhältnis der Geschlechter zueinander und den Umgang mit der eigenen Körperlichkeit prägt: Neunzig Prozent der Frauen seien genital beschnitten, das Heiratsalter bewege sich zwischen elf und dreizehn Jahren, mehrere Frauen lebten mit einem Mann zusammen, berichtete die ehemalige Einsatzleistende. "In ihrer Lebensart geht es auch kaum anders als mit drei Frauen", stellte sie fest. Diese Lebensform funktioniere auch gut. Schwierig werde es erst, wenn sich Tradition und Moderne berührten, wenn Traditionen keinen Halt mehr gäben und wenn Frauen nicht mehr bereit seien, den gesundheitlichen Risiken ausgeliefert zu sein, die ein solch traditionelles, abgeschiedenes Leben birgt. "Ich wäre dort schon vier Mal an einer Geburt gestorben", stellte Katrin Heeskens rückblickend auf ihre eigenen Schwangerschaften nüchtern fest.

Faktor Bildung
Helena Zweifel, Geschäftsführerin des Netzwerkes Medicus Mundi Schweiz, betonte den Einfluss des Bildungsgrades auf die Kinderzahl: Wenn Kinder nicht mehr als Altersversicherung, sondern als potentieller Kostenfaktor wahrgenommen würden – weil man ihnen eine gute Ausbildung bieten können wolle – senke sich die Kinderzahl. Heeskens stimmte zu: "Wir müssen mit Bildung anfangen. Sobald die Frauen einen gewissen Bildungslevel erreicht und vielleicht andere Chancen haben, sich im Alter zu versorgen, sinkt die Kinderzahl von acht auf drei." Wo Mädchen die Möglichkeit hätten, sechs Jahre lang die Schule zu besuchen und auch entsprechende Informationen erhalten, würden frühe Schwangerschaften sehr erfolgreich verhindert. Für Loebell steht dabei aber nicht nur direktes Wissen, sondern die Entscheidungs- und Beurteilungsfähigkeit im Zentrum: "Habe ich die Fähigkeit, Situationen zu beurteilen, auch im Zusammenhang mit Sexualität? Das sind Prozesse, die im Alter von zehn, elf Jahren im Gang sein müssen."

Somit rücken für Loebell die Jugendlichen vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit: "Sie haben eine Schlüsselrolle inne. Es hat noch nie in der Menschheitsgeschichte so viele Jugendliche gegeben, gerade in Entwicklungsländern, die in das sexuell aktive Alter kommen." Wenn es gelinge, ihre Rechte, vor allem die reproduktiven, zu stärken, dann könne sehr viel erreicht werden. Zentral ist für Loebell, Jugendlichen einen Zugang zu Gesundheitsdiensten zu verschaffen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. "Es zeigt sich ganz klar in der Bekämpfung von HIV: Wenn man einen Rückgang der Neuinfektionen erreichen will, muss man Jugendliche erreichen; nicht nur junge Frauen, sondern mehr und mehr auch junge Männer."

Machtverhältnisse
Auch Helena Zweifel setzt bei den Geschlechterverhältnissen an. Denn dass viele Mädchen in Ländern, wo sie sehr früh verheiratet werden, nicht lange Bildung geniessen können, habe mit Machtverhältnissen zu tun, wie sie betonte. "Man will die Mädchen möglichst früh verheiraten, statt sie zu stärken, indem man sie beispielsweise länger zur Schule gehen lässt. Dann ist es nicht mehr die Sorge des Vaters, ob sie wohlauf sind, sondern die Sorge des Ehemannes".

Man müsse bei den Geschlechter- und Machtverhältnissen ansetzen und Frauen und Mädchen auch ökonomisch stärken. Aber auch die Männer müssten einbezogen werden: "Ein Umdenken bei den Männern ist nötig. Werte können verändert werden – auch Kultur", ist Zweifel überzeugt. In die Vorstellungen von Männlichkeit und männlichem Verhalten sollten neue Wertemuster einfliessen, in dem sich die Männer verantwortlich für ihre Kinder und ihre Sexualpartnerinnen fühlen.

Die Rolle der Kirche
Um die Verantwortung für seine Sexualpartnerinnen und -partner aber wahrnehmen zu können, müssen gewisse Bedingungen geschaffen sein; beispielsweise der Zugang zu sicheren Verhütungsmitteln, die auch gegen Infektionen schützen. Hier spielt auch der konservative, offizielle Standpunkt der katholischen Kirche zur Empfängnisverhütung eine Rolle. Es gelang nicht, einen Vertreter der kirchlichen Hierarchie für die Teilnahme am Podium zu gewinnen.

Nach Einschätzung des katholischen Theologen und Kommunikationsverantwortlichen der Caritas Schweiz, Odilo Noti, war es besonders die Enzyklika "Humanae Vitae" von 1968, die die Empfängnisverhütung ablehnt, die zur heutigen Haltung der katholischen Kirche beiträgt. Gleichzeitig erahnte Noti für die Kirchen des Südens einen gewissen praktischen Spielraum: "Die afrikanischen Kirchenführer haben nicht die Last jahrhundertelanger Tradition und nicht die Last päpstlicher Lehrkontinuität auf sich; da hätten sie die Chance, pragmatischer zu sein, beispielsweise zu sagen, wir propagieren Kondome zwar nicht, aber wir verbieten sie auch nicht." Ob das konservative Denken in Fragen wie Homosexualität, Empfängnisverhütung und Abtreibung aber immer mit dem Katholizismus zu tun habe oder nicht auch mit gegebenen kulturellen Strukturen, ist gemäss Noti schwer abzuschätzen.

Rechte kennen und wahrnehmen
Der Zugang zu Bildung und zu Arbeit auch für Frauen, die Verbesserung medizinischer Infrastrukturen, die Arbeit mit Geschlechter- und Machtverhältnissen und die Haltung lokaler Religionsvertreter tragen also massgeblich zur Frauen- und Müttergesundheit in Ländern des Südens bei. All das aber, so waren sich die Referierenden einig, wird erst richtig fruchtbar, wenn die Menschen um ihre Rechte wissen und diese auch wahrnehmen: das Recht auf Gesundheit, das Recht auf Bildung.

Heeskens berichtete aus eigener Erfahrung, dass Menschen das Wissen um ihre Grundrechte oder auch die Gesetzeslage oft fehle: "Dass die Mädchenbeschneidung in Kenia seit 2001 verboten ist, wissen dort viele Menschen nicht; das Grundrecht der Kinder, in die Schule zu gehen, kennen viele nicht." Hier würde in Schulungen gezielt angesetzt.

Loebell fordert als Schlüssel zur Armutsbekämpfung auch die Schaffung von sozialer Rechenschaftspflicht: Bürgerinnen und Bürger sollten von ihren Regierungen und Parlamentsabgeordneten beispielsweise Rechenschaft verlangen, ob das angekündigte Gesundheitsbudget auch realisiert würde. Die Gewährleistung reproduktiver Gesundheit im Süden bleibt eine vielschichtige Aufgabe. (Sylvie Eigenmann, Redaktorin der Zeitschrift Wendekreis, die von der BMI herausgegeben wird.)

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