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“Ich weiss jetzt, was ich will und was ich nicht will”
Kwa Wazee

“Ich weiss jetzt, was ich will und was ich nicht will”

Kwa Wazee hat 2010 und 2011 im ländlichen Tanzania für 250 Mädchen und weibliche Jugendliche Selbstverteidigungskurse durchgeführt - als Reaktion auf die vielen Vorfälle von sexueller Gewalt. Die Idee für Selbstverteidigungskurse für Mädchen entstand 2002 aus einer Zusammenarbeit zwischen Kurt Madörin, dem Gründer der Waisenorganisation VSI in Tanzania, und Nathalie Ullmann von PALLAS.

Die in einem Grundkurs ausgebildeten Trainerinnen führten in der Folge zwischen 2002 und 2004 eine Reihe von Trainings durch. 2010 nahm Kwa Wazee die Idee der Selbstverteidigung wieder auf –als Reaktion auf die vielen Vorfälle von sexueller Gewalt. Kwa Wazee arbeitet mit alten Menschen, die oft Grosskinder aufziehen, welche ihre Eltern wegen Aids verloren haben, und mit Menschen, die mit HIV leben (PLWHA) und ihren Kindern. TatuTano, die Organisation der Grosskinder und der Kinder, die mit HIV-infizierten Eltern leben, zählt um die 1’000 Kinder und Jugendliche.

Die Kurse sind aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt. Eine Komponente besteht im Erlernen und Beherrschen einer Reihe von Verteidigungstechniken – etwa, wie man sich aus Umklammerungen lösen kann, oder wie man sich am Boden befreien kann etc. Dazu gehört auch die Kenntnis der verwundbaren Stellen des männlichen Körpers, oder der Gebrauch der Stimme und der allgemeinen Körpersprache. Es ist immer wieder eindrücklich, wie sich die Stimme der Mädchen im Laufe der ersten Tage von einem meist verhaltenen und etwas kraftlosen “Hapana. Sitaki.” (Nein. Ich will nicht) in ein sehr bestimmtes und akustisch wirkungsvolles “Hapana” verwandelt. Wir haben auch beobachtet, wie das intensive zweiwöchige körperliche Training, zusammen mit der zunehmenden Beherrschung der Techniken, ein Vertrauen in die eigene Körperkraft schafft.

Eine weitere Komponente, vermutlich ebenso wichtig für den Schutz der Mädchen, dreht sich um persönliche Einstellungen und kulturelle Leitbilder und sollte ihnen helfen, sich ein genaueres Bild ihrer Lebensumstände zu machen und sich eigene Positionen zu wichtigen Fragen zu erarbeiten. Zu diesem Zweck haben wir das ursprüngliche Manual von 2002 zu einem interaktiven Werkheft umgearbeitet und es von 15 auf 20 Module erweitert. Module wie "“Ich und mein Körper" – "mein Körper gehört mir"”, "“Wie sicher fühle ich mich in meiner Umgebung"”, "“Verletzliche Teile meines Körpers"” und vor allem das Modul über "sexuelle Gewalt" thematisieren die fragile Stellung von Mädchen und weiblichen Jugendlichen in der tanzanianischen Gesellschaft.

Eine dritte Komponente ergibt sich aus der grossen Zahl (meist um die 60 Mädchen und Jugendliche) und die Dauer. Während die grosse Zahl sich auf die grosse Nachfrage zurückzuführen ist (manche weinen, wenn wir sie auf einen nächsten Kurs vertrösten müssen), ist die Dauer ein geplantes Strukturelement des Kurses. Die kontinuierlichen zwölf Tage bilden die Voraussetzung, das notwendige gegenseitiges Vertrauen unter den Teilnehmerinnen (und zwischen den Teilnehmerinnen und den Trainerinnen) zu schaffen, das es erlaubt, – oft zum ersten Mal - von traumatischen Erlebnissen zu sprechen.

Ein „Sicherheitssprung“

Im März/April haben wir 82 Mädchen gebeten, sich zu folgenden Fragen zu äussern:

  1. Wie hat sich mein individuelles Sicherheitsgefühl durch den Kurs verändert (angegeben auf einer Skala von 1-10) und wie erkläre ich die Veränderungen?
  2. Hat Gewalt zugenommen, ist sie gleich oder hat sie abgenommen in ausgewählten sensiblen Bereichen (wie Schule, Schulweg, Wasser holen, männliche Freunde, Feuerholz sammeln etc.)
  3. Was sage ich meiner Freundin, warum sie einen Selbstverteidigungskurs machen soll?

Die Erhebung zeigt eine überwältigende Zunahme des individuellen Sicherheitsgefühls –auf der Skala von 1- 10 von 2.4 auf 9.2, und eine Abnahme der Gewalt in allen Bereichen bei der zweiten Frage. Man kann natürlich einwenden, dass das individuelle Sicherheitsgefühl nicht eins zu eins der tatsächlichen Sicherheitslage entspricht. Dem ist allerdings beizufügen, dass die Befragten über einen Erfahrungsraum von sechs bis neun Monate nach dem Kurs verfügen, also ein gewisse Wirklichkeitserfahrung reflektiert worden ist. Zudem darf man der positive Wirkung des Thomas’ Theorem vertrauen, das besagt, “Was als Realität wahrgenommen wird, hat seine Konsequenzen in der Zukunft”. Wenn Mädchen sich als selbstbestimmt wahrnehmen und über die Kenntnisse verfügen, ihre Selbstbestimmtheit zu verteidigen, kann man mit Fug und Recht annehmen, dass dies seine Wirkung hat, wie wir etwa am Beispiel von Kabare zeigen konnten.

Die Genauigkeit, mit der die Befragten die Gründe für den Wandel anführten, lässt uns auch schliessen, dass dieser “Sicherheitssprung” mehr als Wunschdenken ist. Der Kern des Wandels sehen die Befragten eindeutig bei sich selber: “

  • Ich fühle, dass ich mich jetzt selber verteidigen kann" (69 Nennungen)
  • “Ich weiss, dass mein Körper mir gehört” (62)
  • “Ich weiss, wie gefährliche Situationen zu vermeiden sind” (61) “
  • Ich habe mein Verhalten geändert” (55) “
  • Meine Fähigkeit, mich zu verteidigen, hat zugenommen” (55) “
  • Ich kann jetzt erklären, was ich will und was ich nicht will” (50).
  • Erst nachher wird die unterstützende Rolle der Umgebung: BetreuerInnen, LehrerInnen, Polizei etc. erwähnt.

Natürlich hat angesichts der existierenden sexuellen Gewalt gegen Mädchen Selbstverteidigung für Mädchen absolute Priorität. Dennoch stellt sich die Frage: Und die Knaben? Was wird getan, um ihnen ein anderes Rollenverständnis näher zu bringen, damit sie aktiv, und nicht nur reaktiv, ihren Beitrag an ein gewaltfreieres and respektvolleres Neben- und Miteinander leisten können. Einen Anfang haben wir mit den geschlechtergemischten Gruppen und Diskussionen zu Geschlechterrollen und –stereotypen gemacht. Aber das genügt nicht. Zusammen mit PALLAS planen wir für 2012 ein Training zur Gewaltprävention für Knaben – als Ergänzung zur Selbstverteidigung der Mädchen. (Kurt Madörin, Bulletin von Medicus Mundi Schweiz Nr. 121, August 2011)

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HIV, Sexualität und Jugend. Die Verknüpfung von HIV und reproduktiver Gesundheit und Rechte