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Juni 2015 - Thema des Monats: Jung, mittellos, HIV-positiv: ein Bericht aus Simbabwe
Jugendliche

Juni 2015 - Thema des Monats: Jung, mittellos, HIV-positiv: ein Bericht aus Simbabwe

Simbabwe hat eine der höchsten HIV-Raten weltweit: 15 Prozent der Bevölkerung ist infiziert. Die Newlands Clinic in Harare, die vom Schweizer Arzt Prof. Ruedi Lüthy gegründet wurde, behandelt rund 5‘500 mittellose Patientinnen und Patienten. Bei Kindern und Jugendlichen hat das medizinische Personal dabei mit besonderen Herausforderungen zu kämpfen.

Memory ist 15 Jahre alt und lebt in einer Siedlung etwas ausserhalb von Simbabwes Hauptstadt Harare. Die selbst gebauten Hütten und Häuser stehen entlang einer unbefestigten Strasse, die bei Regen unpassierbar wird. Die Menschen, die hier leben, sind sehr arm, doch das Leben in der illegalen Siedlung, die auf ehemaligem Farmland entstanden ist, wirkt seltsam geordnet: Kinder spielen auf der Strasse, und die Frauen kümmern sich um die Häuser.

Memorys strahlendes Lächeln täuscht über ihre schwierige Geschichte hinweg. Das Mädchen ist HIV-positiv und hat im Alter von zehn Jahren ihre Mutter an Aids verloren. Ihr Vater starb noch früher; das Mädchen ist also Vollwaise. Heute lebt sie bei ihrer Grosstante, die sie in ihrer Muttersprache Shona „Gogo“ – Grossmutter – nennt. Als Memorys Mutter so krank war, dass sie sich nicht mehr um das Mädchen kümmern konnte, fand Memory bei „Gogo“ ein neues Zuhause.

Eine Million Aids-Waisen

Memorys Geschichte ist bei weitem kein Einzelfall. Man schätzt, dass Aids in Simbabwe etwa eine Million Kinder zu Waisen gemacht hat. Viele von ihnen sind auf sich alleine gestellt oder leben bei Verwandten, die sie mehr schlecht als recht behandeln. Memory scheint bei ihrer Grosstante jedoch ein liebevolles Zuhause gefunden zu haben: Vor dem Haus wächst ein Avocado-Baum, ein Bohrloch sorgt für trinkbares Wasser, und in der Nähe pflanzen die Frauen Bohnen, Tomaten und Zwiebeln an. Doch für Dinge wie neue Kleider oder die Schulgebühr ist kein Geld vorhanden. Memory geht seit ein paar Jahren nicht mehr zur Schule; ihr Englisch reicht nicht für eine Unterhaltung über alltägliche Dinge aus.

Seit vier Jahren ist das Mädchen, das seit Geburt HIV-positiv ist, in der Newlands Clinic in Behandlung. Als die damals Elfjährige erstmals in die Klinik kam, war sie schwer krank. Heute geht es Memory dank der antiretroviralen Therapie gut, doch Melania Mugamu, die Sozialarbeiterin der Newlands Clinic, befürchtet, dass sie ihre Medikamente nicht mehr regelmässig einnimmt. Das hätte verheerende Folgen, denn das Virus kann rasch Resistenzen entwickeln, und in Simbabwe sind längst nicht alle HIV-Medikamente verfügbar.

Melania Mugamu besucht Memory zuhause, um herauszufinden, wie sie besser unterstützt werden kann. Sie ist besorgt: „Das Mädchen muss zur Schule. Ich habe Angst, dass sie die Therapie abbrechen oder früh schwanger werden könnte, wenn sie keine Beschäftigung hat.“ Frühe Schwangerschaften sind recht häufig: Viele junge Menschen haben keine intakte Familie erlebt und wünschen sich nichts sehnlicher als das. Andere verlieren angesichts ihrer Lage jegliche Hoffnung: Nebst dem Stigma, das HIV und Aids anhaftet, ist in einem Land wie Simbabwe mit über 80 Prozent Arbeitslosigkeit die Perspektivlosigkeit ein grosses Problem.

Perspektiven schaffen

Die Newlands Clinic versucht diese Probleme auf verschiedene Weise anzugehen. Die Sozialarbeiterin besucht Patienten, die einen Termin in der Klinik verpassen. Manchmal stellt sich heraus, dass der lange Weg in die Klinik das Problem ist. Doch manchmal steckt mehr dahinter, zum Beispiel schwierige Familienverhältnisse oder gar eine schwere Depression. Bei psychischen Problemen kommt die Psychologin der Newlands Clinic zum Einsatz, die Einzel- und Gruppentherapien durchführt. In Zusammenarbeit mit der lokalen Organisation Africaid Zvandiri will die Klinik jungen HIV-Patienten zudem einen Einstieg ins Berufsleben ermöglichen. Als Coiffeuse, Maler oder Schneiderin versuchen derzeit rund 140 Patienten, ein eigenes Geschäft aufzubauen. Infrastrukturelle Probleme wie Stromausfälle machen ihnen dabei das Leben schwer, zudem schlägt ihnen oft blanker Neid entgegen, aber viele von ihnen haben es geschafft und haben mittlerweile wieder einen Grund, um morgens aufzustehen.

Memory ist noch zu jung, um in das Programm aufgenommen zu werden. Melania Mugamu hofft deshalb inständig, dass das Mädchen bald zurück zur Schule gehen und ihren Schulabschluss machen kann. Das sei zwar noch lange keine Garantie für eine gesicherte Zukunft, so die Sozialarbeiterin, aber es wäre ein Anfang für eine bessere Zukunft. Denn die von HIV gezeichnete junge Generation hat Träume und will weiterkommen im Leben. „Im Sturm haben wir gelernt zu tanzen“ singen HIV-positive Jugendliche in einem Song, der Africaid Zvandiri mit ihnen produziert hat. Man wünscht ihnen, dass sie das Tanzen nie verlernen mögen.

Autorin: Janine Haas, Swiss Aids Care International / Fotos: Patrick Rohr

Die Newlands Clinic wird von der Schweizer Stiftung Swiss Aids Care International finanziert und betrieben. www.swissaidscare.ch / www.facebook.com/swissaidscare

Song «How to Dance»: