Die psychische Gesundheit als zentraler Faktor in der HIV-Therapie - Studie zu Therapietreue
Ruedi Lüthy Foundation - Viele junge Patientinnen und Patienten hadern mit ihrer HIV-Infektion und der damit verbundenen lebenslangen Therapie. Damit sie die Behandlung ohne Unterbruch fortsetzen, braucht es eine besonders enge Betreuung. Für den Kampf gegen die Epidemie im südlichen Afrika ist es zentral, die spezifischen Bedürfnisse dieser wichtigen Risikogruppe zu verstehen und sie ganzheitlich anzugehen. Studie der Ruedi Lüthy Foundation zu Therapietreue bei HIV-positiven Jugendlichen und jungen Erwachsenen. (Foto: Viele Jugendliche sprechen in den Therapiesitzungen zum ersten Mal über ihre Geschichte mit HIV / © Patrick Rohr / Ruedi Lüthy Foundation)
Sie erleben die erste Liebe, rebellieren gegen die Erwachsenen und suchen ihren eigenen Weg: Das ist bei den jungen Patientinnen und Patienten, die in der Newlands Clinic in Simbabwes Hauptstadt Harare behandelt werden, nicht anders als bei anderen Jugendlichen. Ihr Leben ist aber zugleich noch schwieriger. Da ist zum einen ihre HIV-Infektion, die ein grosses Tabu darstellt und eine lebenslange Therapie erfordert. Und zum anderen leben sie oftmals in sehr schwierigen Verhältnissen. Viele haben wegen Aids ihre Eltern verloren und wohnen in einem Heim oder bei Verwandten, und die Zukunftsaussichten sind düster angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Simbabwe.
In der Newlands Clinic erhalten diese jungen Menschen nicht nur medizinische Hilfe, sondern sie erfahren auch Zuwendung und Respekt. Neben den lebensrettenden HIV-Medikamenten erhalten sie zur Stärkung vitaminreiches Porridge, und wenn das Geld für Essen oder Schule fehlt, hilft die Klinik ebenfalls. Diese massgeschneiderte Betreuung durch das Klinikteam ist Voraussetzung für neue Hoffnung und Vertrauen und bietet den jungen Leuten einen geschützten Raum, wo sie über ihre Schwierigkeiten sprechen und ihre Erfolgserlebnisse teilen können.
Junge Patientinnen und Patienten im Jugendtreff der Newlands Clinic. Foto: © Patrick Rohr / Ruedi Lüthy Foundation
Hadern mit der lebenslangen Therapie
Das enge Vertrauensverhältnis zwischen Pflegenden und Patient*Innen ist gerade in der Pubertät unbezahlbar. Dann begreifen die jungen Menschen die ganze Tragweite ihrer HIV-Infektion und dass sie ein Leben lang Medikamente einnehmen müssen.
Aussagen wie «HIV bedeutet Tod», «ich bin nichts wert», «ich bin alleine und niemand kümmert sich um mich» oder «ich habe keine Zukunft» widerspiegeln die Tragweite einer HIV-Infektion.
Dazu gesellen sich Zukunftsängste, die den Behandlungserfolg gefährden: «Werde ich jemals heiraten können?», «werden meine Kinder auch HIV-positiv sein?» und «was passiert, wenn meine Freundin von meiner HIV-Inofektin erfährt?» sind häufige Fragen.
Mangelnde Unterstützung, Hoffnungslosigkeit und Ängste sind denn auch die wichtigsten Gründe, weshalb viele Jugendliche und junge Erwachsenen die Medikamente nicht regelmässig einnehmen. Das ist hochgefährlich, denn die HI-Viren können sich dann rasch unkontrolliert vermehren und sogar resistent werden. Wird beim regelmässigen Bluttest eine erhöhte Viruslast festgestellt, gilt es deshalb rasch zu handeln.
Es geht um viel mehr als die Einnahme von Tabletten
Bei der Behandlung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit einer HIV-Infektion reicht es nicht, sie über die antiretrovirale Therapie und Therapietreue zu informieren und ihnen Medikamente abzugeben. Eine der grössten Herausforderungen für das Ärzteteam und die Pflegefachleute besteht darin, die jungen Patientinnen und Patienten dazu zu bewegen, die Therapie konsequent einzuhalten. Dies, obwohl der grosse Nutzen der antiretroviralen Medikamente für die allgemeine Gesundheit und eine bessere Lebensqualität hinlänglich bekannt ist. Im Gegensatz zu anderen Altersgruppen hat die Mortalität infolge von Aids bei Jugendlichen zwischen 2005 und 2012 weltweit um 50 Prozent zugenommen, was insbesondere auf mangelnde Unterstützung bei der Therapietreue und einer daraus folgenden hohen Abbruchquote zurückgeführt wird.
Die Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, die Ursachen für die ungenügende Therapietreue bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen besser zu verstehen und entsprechende Massnahmen zu entwickeln. Besonders in Afrika südlich der Sahara, wo schätzungsweise 80 Prozent der weltweit 2.1 Millionen HIV-positiven Jugendlichen leben, muss dringend mehr getan werden. Simbabwe gehört weltweit zu den Ländern, die am stärksten betroffen sind. Jugendliche und junge Erwachsene stellen eine Risikogruppe dar. Aus diesem Grund haben wir in der Newlands Clinic die sogenannte «Enhanced Adherence Counselling Group Intervention» (EACGI) entwickelt. Die EACGI-Gruppentherapien richten sich an Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 13 bis 25 Jahren, die eine schlechte Therapietreue und eine zu hohe Viruslast aufweisen. Das Ziel ist es, ihre psychische Gesundheit zu stärken.
Jugendliche bei Bastelarbeiten. Dank diesen haben sie die Möglichkeit, sich ein paar Dollars dazu zu verdienen. Foto: © Patrick Rohr / Ruedi Lüthy Foundation
Gruppentherapien erhöhen den Behandlungserfolg
Die EACGI-Intervention dauert jeweils zwölf Wochen. Dabei treffen sich acht bis fünfzehn Patientinnen und Patienten mit drohendem Therapieversagen wöchentlich zu einer eineinhalbstündigen Therapiesitzung. Die Gruppentherapien werden parallel zur Routinebehandlung angeboten. Mithilfe von Ansätzen aus der Phänomenologie, der kognitiven Verhaltenstherapie und der motivierenden Gesprächsführung soll der Übergang zu Medikamenten der zweiten Linie gelingen und die Therapietreue verbessert werden. In der Newlands Clinic hat jede Patientin und jeder Patient eine ihm zugewiesene Pflegeperson, welche die HIV-Therapie begleitet und überwacht. Je nach Bedarf kann diese zusätzliche Beratung und Unterstützung anfordern. Um die Wirkung der Gruppentherapien zu messen, wird davor und danach sowie jeweils drei, sechs, neun und zwölf Monate nach der Umstellung auf Medikamente der zweiten Linie die Viruslast im Blut bestimmt.
Resultate der Studie
Für die EACGI-Gruppentherapien wurden 59 Patientinnen und Patienten zwischen 13 und 25 Jahren ausgewählt und während 46,8 Personenjahren beobachtet. 34 (57,6 %) der Teilnehmenden waren weiblich. Der Median der Behandlungsdauer mit Medikamenten der ersten Linie betrug vor der Gruppentherapie 6 Jahre (IQA: 4 bis 8). Unter den Teilnehmenden waren Hoffnungslosigkeit, schwierige Familienverhältnisse, fehlende Krankheitssymptome, Widerstand gegen die tabuisierte Routine der Medikamenteneinnahme sowie Nebenwirkungen die wichtigsten Ursachen für die mangelnde Therapietreue. Von den Patientinnen und Patienten, die an mehr als 75 % der Sitzungen teilnahmen, erreichten nach 3, 6, 9 bzw. 12 Monaten jeweils 76, 94, 94 bzw. 100 % eine vollständige Unterdrückung der Viruslast. Im Vergleich dazu betrug das Resultat bei jenen, die an weniger Sitzungen teilnahmen, 50, 55, 55 bzw. 50 %. Bei den Patientinnen und Patienten, die gar nicht teilnahmen, erreichten nur 32, 41, 41 bzw. 39 % eine vollständige Virusunterdrückung. 22 Patientinnen und Patienten (37,3 %) besuchten keine der Therapiesitzungen (8 weiblich, 14 männlich). Die Hauptgründe für das Fernbleiben waren fehlendes Interesse sowie Terminkollisionen mit Schule oder Arbeit.
Graphik: Vollständige Virusunterdrückung nach Teilnahmequote.
Y-Achse: Patienten mit vollständiger Virusunterdrückung.
X-Achse: 3/6/9/12 Monate // nach Abschluss der Gruppentherapie
Fazit: Innovative Strategien sind essentiell
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die an mehr als 75 % der Gruppentherapie-Sitzungen teilnahmen, erreichten deutlich bessere virologische Resultate als die übrigen. Hoffnungslosigkeit, schwierige Familienverhältnisse, fehlende Krankheitssymptome, Widerstand gegen die tabuisierte Routine der Medikamenteneinnahme sowie Nebenwirkungen beeinflussen die Therapietreue von Jugendlichen und jungen Erwachsenen negativ, was das Risiko eines Therapieversagens erhöht. In der Zeit der Pubertät geht es um mehr als die tägliche Medikamenteneinnahme:
Bei HIV-Behandlung und -Management dürfen die Erfahrungen der jungen Menschen mit Verlust, Stigmatisierung und Diskriminierung, ihr erhöhtes Bewusstsein für die Verletzlichkeit des Lebens, ihre Fragen rund um Sexualität sowie ihre Unsicherheiten bezüglich Ausbildung und Karrierechancen nicht vergessen werden.
Die behandelnden Fachleute müssen eine andere Perspektive einnehmen, denn Jugendliche und junge Erwachsene mit HIV können nicht mit erwachsenen Patienten gleichgesetzt werden und sind auch keine homogene Gruppe. Erhöhte Viruslast, Krankheitsfortschritt, Medikamentenresistenz, mangelnde Behandlungsoptionen bis hin zum Tod: Eine ungenügende Therapietreue birgt hohe Risiken und muss mit innovativen Strategien bekämpft werden, die über den traditionellen klinischen Ansatz hinausgehen.
Die Ruedi Lüthy Foundation wurde im Jahr 2003 von Prof. Ruedi Lüthy gegründet mit dem Ziel, im südlichen Afrika Menschen mit HIV/Aids umfassend zu behandeln. Heute betreibt die Stiftung in Harare (Simbabwe) die ambulante Newlands Clinic, die rund 6500 Patientinnen und Patienten behandelt, sowie ein Ausbildungszentrum und ein Zentrum für Frauengesundheit. Mehr als ein Viertel der Patientinnen und Patienten sind jünger als 25 Jahre. Die Newlands Clinic unterstützt sie mit Schulgebühren, Gruppentherapien und einem Berufsausbildungsprogramm auf dem Weg in ein unabhängiges Leben. Email / www.ruedi-luethy-foundation.ch
Bahati Kasimonje leitet die psychosozialen Dienste der Newlands Clinic. Sie besitzt einen Master in Psychologie und setzt sich mit Herzblut für eine umfassende Behandlung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit HIV ein. Bahati Kasimonje hat die EACGI-Gruppentherapien mitentwickelt. Email |
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Referenzen
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